100 Jahre Praesens-Film: Es geschah am hellichten Tag

Als der Hausierer Jacquier den Fund einer Mädchenleiche der Polizei meldet, gerät er selbst in Verdacht. Doch Kommissar Matthäi ist von seiner Unschuld überzeugt. Ladislao Vajdas atmosphärisch dichte und psychologisch raffinierte Dürrenmatt-Verfilmung mit Gert Fröbe und Heinz Rühmann ist legendär.

Ein alter Hausierer entdeckt im Wald die Leiche eines kleinen Mädchens. Er informiert die Polizei, die ihn allerdings als Mörder beschuldigt und verhaftet. Als er sich darauf in seiner Zelle erhängt, gilt der Fall als abgeschlossen. Nicht jedoch für Hans Matthäi. Der erfahrene Kommissar, der eigentlich seinen Dienst als Ermittler quittiert hat, ist fest davon überzeugt, dass sich der Täter noch auf freiem Fuss befindet. Mangels Spuren und sonstiger Hinweise muss er neue Wege der Ermittlung einschlagen. Anhand einer Zeichnung des Mordopfers und unter Mithilfe eines Psychiaters erstellt er ein Täterprofil: Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird der Mörder wieder zuschlagen. Um ihn in eine Falle zu locken, fasst Matthäi einen geradezu irrwitzigen Plan. Er mietet sich in einer Tankstelle ein und engagiert die Fabrikarbeiterin Frau Heller als Hauswirtin. Die arglose Mutter ahnt nicht, dass der ehemalige Kommissar ihre kleine Tochter Annemarie als Lockvogel benutzen will. Dem ungarischen Regisseur Ladislao Vajda ist ein äusserst stimmiger und atmosphärischer Kriminalfilm mit vorzüglichen Darsteller:innen gelungen; insbesondere Heinz Rühmann überraschte in einer seiner ernsten Rollen als besessener Kommissar. Der Schweizer Historiker und Filmexperte Felix Aeppli schreibt in einem Text über den Schweizer Film in den fünfziger Jahren: «Nach dem künstlerischen Misserfolg von ‹Taxichauffeur Bänz› beauftragt die Praesens-Film Friedrich Dürrenmatt mit der Ausarbeitung eines Drehbuchs für ihren nächsten Film: ‹Es geschah am hellichten Tag› wird 1958 nach einem Originalstoff des damals wohl berühmtesten deutschsprachigen Dramatikers gedreht. Dürrenmatt gibt später denselben Stoff unter dem Titel ‹Das Versprechen› in Romanform heraus, wobei er bezeichnenderweise das Happy End des Films abändert.» Im Jahr 2001 verfilmte Sean Penn «Das Versprechen» («The Pledge») mit Jack Nicholson als Kommissar mit jenem düsteren Ende, das Friedrich Dürrenmatt vorgesehen hatte. Doch auch 65 Jahre nach seiner Premiere hat das beklemmende Original dank seiner genauen Milieuzeichnung und psychologischen Raffinesse nichts von seiner Spannung eingebüsst. «Es geschah am hellichten Tag» ist einer der grossen Klassiker des Schweizer Krimimalfilms.